Die physiologische Sprachentwicklung von Kindern

Unter der physiologischen Sprachentwicklung von Kindern versteht man den regulären Spracherwerb, wenn KEINE Komplikationen auftreten.

Natürlich ist jeder Mensch einzigartig, nichts desto trotz haben verschiedenste Studien gezeigt, dass die Sprachentwicklung in der Regel nach bestimmten Schemata verläuft. Denkt man ein wenig darüber nach, macht dies auch durchaus Sinn. Die wenigsten Menschen fangen an zu Sprinten, bevor sie gehen können. Warum also sollte dies bei der Sprache anders sein?! Zu beachten sind noch regionale Unterschiede die unter anderem damit zusammenhängen, dass jede Sprache ihre eigenen Regeln hat.

So sind die 3 Artikel (der, die, das) der deutschen Sprache im Englischen zum Beispiel zusammengefasst mit “the”. Andersrum gibt es beispielsweise im Spanischen den Buchstaben und Laut <ñ> welcher im Deutschen fehlt und in etwa wie [nj] klingt.

Der Einfachheit und Relevanz für unsere Praxen geschuldet, befasst sich dieser Artikel zunächst ausschließlich mit der physiologischen Sprachentwicklung der Deutschen Sprache.

Die Sprachentwicklung kann man sich wie einen Hürdenlauf vorstellen. In bestimmten Abständen, gemessen am Alter des Kindes, gilt es bestimmte Hürden zu überwinden. Die Abstände zwischen 2 Hürden nennen wir “Entwicklungsfenster”. Ein Entwicklungsfenster beschreibt immer den Zeitraum, in welchem das Erlernen bestimmter Vorgänge und Kompetenzen besonders leicht fällt. Zum Glück für uns und unsere Arbeit, gibt es hierbei eine nahezu immer gleiche Reihenfolge.

Die meisten Kinder beginnen ungefähr im Alter von 2 bis 3 Monaten damit, erstmalig zu “lallen”. Dies beschreibt das Produzieren oder auch “von sich geben” erster, sprachlicher Geräusche bzw. Laute. Zumeist hört man ein “ä”, einige eher kehlige Laute wie “r” oder auch ein hauchendes “h”. Die Laute werden einzeln und eher zufällig gebildet.

Im Alter von ca. 6 Monaten wird das Lallen dann gezielter. Es entstehen regelrechte Lautketten (“bababa” “dada” “rara”). Die Kinder beginnen damit aktiver zuzuhören und die Melodie der Muttersprache nachzuahmen. Zudem wird weniger willkürlich und stattdessen gezielter lautiert. Man nennt diese Art des Lallens auch “kanonisches Lallen” und es sollte spätestens bis zum 10. Lebensmonat erfolgen.

Das erste “richtige” Wort wird vom Kind gesprochen, wenn es in etwa 1 Jahr alt ist. Dies könnte zum Beispiel ein gezieltes “Mama” sein, um die Aufmerksamkeit seiner Mutter zu erregen. Vielleicht ist es auch das Verkürzen der Lautkette “papapa” zu “Papa”. Es beginnt damit Sprache zu Verwenden, um etwas bestimmtes zum Ausdruck zu bringen, von eigener Zufriedenheit, bis hin zum auf etwas aufmerksam machen.

Ab dem ersten Wort beginnt das Kind nun damit sich zunächst langsam aber stetig neue Wörter anzueignen. Die ersten 50 Wörter sollten dann bereits im Alter von 18 bis 22 Lebensmonaten verwendet werden, spätestens aber mit 24 Lebensmonaten.

Das Erreichen der “50-Wort-Grenze” markiert dann das Auslösen des sogenannten “Wortschatzspurts”. Wortschatzspurt bedeutet hierbei, dass das Kind nun damit beginnt sich in spürbar höherem Tempo täglich neue Wörter anzueignen. Der Wortschatzspurt hält dann in etwa bis zum Erreichen des 12ten Lebensjahres an, ab diesem Zeitpunkt beginnt die Geschwindigkeit dann wieder etwas abzuflachen. Das Erlernen neuer Wörter endet jedoch niemals komplett.

Mit Beginn des 2ten Lebensjahres kommen, zusätzlich zu den neu gelernten Wörtern, auch immer neue Laute hinzu. Diese helfen dabei, die Verständlichkeit des Kindes zu steigern. Erst mit circa 4,5 wird der Lauterwerb physiologisch abgeschlossen und endet in der Regel mit dem Erlernen von .

Was noch folgt sind zum einen der Erwerb grammatikalischer Strukturen und Fähigkeiten, und zum anderen (meist durch die Einschulung) der Schriftspracherwerb.

Wissenswertes

1)

Was viele nicht Wissen, ist dass die Sprachentwicklung bereits im Mutterleib beginnt. In etwa ab der 22. Schwangerschaftswoche ist der Fötus in der Lage zu hören. Dies ermöglicht ihm bereits erste Melodien/Rhythmen und Stimmen zu erkennen, was auch der Grund dafür ist, dass der Säugling direkt nach der Geburt eine positive Verknüpfung zu den Stimmen seiner Eltern hat. Die Fähigkeit Melodien und Rhythmen wahrzunehmen ist für die Sprachentwicklung dabei besonders interessant. Jede Sprache hat ihre eigenen Betonungsmuster welche für den Grammatikerwerb relevant sind. So hat man herausgefunden, dass sich beispielsweise die Saugfrequenz der Neugeborenen in Abhängigkeit davon, ob sie gerade ihre Muttersprache, oder eine Fremdsprache zu hören bekommen, verändert.

Ebenfalls sind Unterschiede zwischen dem Einwirken von Geräuschen und von Sprache zu beobachten.

2)

Die ersten, sprachlichen Laute aller Kinder sind WELTWEIT und EGAL IN WELCHER SPRACHE gleich.

3)

Beim kanonischen Lallen trainiert das Kind bereits erste motorische Abläufe welche für seine Muttersprache relevant sind. Gleichzeitig wird die fürs Sprechen relevante Muskulatur für eben diese Bewegungen weiter ausgebildet. Das Kind beginnt damit das Betonungsmuster seiner Muttersprache (im Deutschen der “Trochäus”, betont -> unbetont) zu erkennen und zu übernehmen. Laute welche in der Muttersprache nicht vorkommen werden zunehmend vernachlässigt.

4)

Das Verwenden der ersten Wörter zeigt uns, dass das Kind nun in der Lage ist zu begreifen, dass Dinge einen Namen haben und man sich auf diese beziehen kann

5)

Das klassische “Lispeln” sollte in der Theorie bereits mit 4 Jahren nicht mehr vorkommen. In der Praxis spielen hier jedoch auch Faktoren des Zahnwechsels mit hinein, weshalb mit der Therapie oftmals gewartet wird, bis alle (oder zumindest die Vorderen) Milchzähne durch bleibende Zähne ersetzt wurden. Hierbei geht man ungefähr vom 6. Lebensjahr aus.